Israel und Bethlehem
2023
Warum sollte man nach Israel reisen?
Israel ist ein faszinierendes und vielfältiges Land. Die Mischung aus beeindruckender Geschichte und liberalem Lifestyle machen dieses Land so einzigartig. Aber auch viele weitere Gegensätzlichkeiten in diesem Land wirken auf den Besucher zuerst irritierend, werden aber mit der Dauer des Besuches klarer und verständlicher. Es lohnt sich sehr, diese Erfahrungen zu machen.
Das Land und die Kultur
Die Wurzeln Israels sind über 3.000 Jahre alt. Israels Geschichte ist untrennbar mit der Geschichte des Judentums verbunden.
Ich habe Israel zum ersten Mal besucht und wurde förmlich überrollt von den geschichtlichen und kulturellen Begebenheiten dieser Region. Als Westeuropäer empfindet man eine große Bescheidenheit beim Vergleich der Geschichte der eigenen Heimat zur Geschichte der Region Israels.
Israel, ein Land und die Israeliten, ein Volk, die in ihrer Geschichte mehrfach getrennt waren. Man spürt sofort die innige Verbundenheit der Israelis zu ihrem Heimatland, dass auch die Palästinenser als ihre Heimat verstehen.
Meine Reise führte mich von Tel Aviv, entlang der Mittelmeerküste nach Norden bis Akko, dann ostwärts nach Galiläa und danach hoch in die nördliche Landesspitze auf die Golanhöhen. Von dort aus Richtung Süden zum See Genezareth, durch das Westjordanland, am Lauf des Jordans entlang bis zum Toten Meer. Das Finale der Reise war in Jerusalem, die Stadt, die die Kultur und Geschichte Israels in allen Facetten, aber auch die historischen- und aktuellen Spannungen mit den unmittelbaren Nachbarregionen widerspiegelt.
Der Tagestrip nach Bethlehem, in das palästinensische Autonomiegebiet im Westjordanland, zeigt dem Besucher die Spaltungen und Konfliktpotenziale dieses Landes unmittelbar auf. Als Kind und Jugendlicher habe ich fast jährlich Mauer und Stacheldraht in Berlin erlebt, wenn ich zu den Besuchen der Verwandtschaft über innerdeutsche Grenze nach Ostberlin fuhr. Die gleichen Mauern in Bethlehem wieder zu sehen, haben mich bedrückt. Selbst die bunten Graffitis auf der Mauer, ob von Banksy oder anderen Künstlern, waren für mich keine Stimmungsaufheller.
Israel habe ich als ein Land erlebt, dass vor allem von Gegenätzen geprägt ist. Zum Beispiel auf der einen Seite die in die Jahre gekommene sozialistische Philosophie der Kibbuze, auf der anderen Seite das Land mit den weltweit meisten Startups, bezogen auf die Einwohnerzahl des Landes. Und natürlich auch einerseits das Leben der orthodoxen Juden nach Regeln, die bereits viele Jahrhunderte Gültigkeit haben und dann auf der anderen Seite eine liberale Freiheit in der Metropolregion Tel Aviv, die wir selbst aus Großstädten wie Berlin oder New York kaum kennen.
Am meisten beeindruckt hat mich während meines Aufenthaltes in Israel das ehrliche Interesse der Israelis an meinem Besuch und die Toleranz und Kompromissfähigkeit dieser multikulturellen Gesellschaft. Das zu Erleben und zunehmend besser zu verstehen sind sicherlich weitere Reisen in dieses so widersprüchliche-, aber faszinierende Land erforderlich.
Die Religionen
Jerusalem ist das Brennglas der drei monotheistischen Religionen: das Judentum, das Christentum und der Islam. In der Jerusalemer Altstadt spürt man die Kraftquellen, die aus diesen Religionen auch heute noch entspringen. Auf einer Fläche von knapp 1 km2 - so groß, oder besser so klein ist die Jerusalemer Altstadt - stehen wesentliche Heiligtümer der drei Weltreligionen, die von den Gläubigen der jeweiligen Religion besucht und verehrt werden. In den Stadtvierteln leben die Bürger Jerusalems seit Jahrhunderten exakt getrennt nach ihrer Religionszugehörigkeit. Mit dem Wechsel der Straßenseite an den Grenzstraßen zwischen den Stadtvierteln tritt man in eine andere Lebens- und Glaubenswelt. Ein besonderes Erlebnis.
Vor meiner Reise habe ich mich mit der Geschichte des Judentums, des Christentums und des Islams dieser Stadt und dieser Region beschäftigt. Ich habe hierbei viele Parallelen und Ähnlichkeiten in den drei Religionen erfahren. Vereinzelte Gespräche in Israel haben meinen Eindruck noch verstärkt.
Nach meiner Rückkehr aus Israel und besonders aus Jerusalem stelle ich mir öfters die Frage, was wäre, wenn zum Beispiel die Botschaft „Achtung und Respekt vor der eigenen Person, vor der Familie und vor seinen Mitmenschen“, die in allen drei Religionen vorkommt und eine besondere Stellung hat, auch praktisch gelebt würde?
Die von mir erlebte Toleranz und Kompromissfähigkeit dieses Landes reicht leider bei weitem nicht aus, auf meine Frage eine positive Antwort zu erhalten. Die Abgrenzungen zwischen den Religionsgemeinschaften und die daraus resultierenden Konflikte kommen nicht aus der Mitte dieser Glaubensgemeinschaften. Es sind vor allem die extremen Ränder innerhalb einer jeden Religion, die in ihrer Deutungshoheit keinen Spielraum für ein Miteinander zulassen. Manchmal noch nicht einmal innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft.
Die Menschen
In Israel, einschließlich der Autonomiegebiete - ca. 430 km lang von Nord nach Süd und ca. 110 km breit in Ost-West-Richtung - leben heute knapp 9 Mio. Einwohner. Seit der Gründung des Staates Israel 1948 sind Menschen aus über 100 Ländern nach Israel eingewandert. Ein melting pot von Kulturen, Religionen und jüdischen Glaubensrichtungen. Allein in den 1990er Jahren sind ca. 1,5 Mio. Menschen jüdischen Glaubens aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken eingewandert. Eine gelungene Integrationsleistung, auf die die israelische Bevölkerung stolz ist und stolz sein darf.
Aber es gibt auch in Israel Bevölkerungsgruppen, wo man von erfolgreicher Integration nicht unbedingt sprechen kann. Dazu gehören unter anderem die israelischen Araber, immerhin knapp 20% der Gesamtbevölkerung und die ultraorthodoxen Juden. Diesen beiden Bevölkerungsgruppen hat man bereits in den frühen Jahren nach der Staatsgründung Sonderrechte in Bezug auf Schule und Weiterbildung als auch im Bereich gesellschaftspolitischer Verantwortungen eingeräumt. Toleranz des Staates gegenüber diesen Bevölkerungsgruppen war auch hier die wesentliche Triebfeder. Aus heutiger Sicht der meisten Israelis führte diese „falsche Toleranz“ zu Parallelgesellschaften innerhalb Israels. Neben den seit Jahren bekannten Konflikten und Bedrohungen von außen kommen so zunehmend auch Konflikte innerhalb der israelischen Gesellschaft hinzu.
Als Besucher und Gast habe ich in den persönlichen Kontakten mit den Menschen in Israel offene bis neugierige Gesprächspartner erlebt, ob es der jüdische Rabbi war, der armenische Hotelmanager oder der interessierte Palästinenser auf der Straße in Bethlehem.
Als deutscher Besucher in Israel bin ich mit meinem imaginären Rucksack der dunklen deutschen Vergangenheit auf diese Reise gegangen. Viele Besuche aus Deutschland haben aber in den vergangenen 70 Jahren auch dazu beigetragen, dass sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel positiv entwickelt haben. Ich hoffe, dass ich mit meiner Reise durch Israel und Bethlehem auch ein kleines Stück zu dieser Entwicklung beitragen konnte. Die Menschen, denen ich in Israel begegnet bin, haben mir dabei geholfen.